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Repression
Kernpunkte unserer Arbeit
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Entscheidend für uns alle im Haus des Jugendrechts ist, den jungen Menschen in seiner Gänze zu betrachten und die Maßnahmen und Hilfen aller Beteiligten gut abzustimmen.
Die Zusammenarbeit mit den Schulen und Jugendhilfeeinrichtungen ist dabei von großer Bedeutung - gleichermaßen im Strafverfahren wie auch in der Präventionsarbeit.
Wissen über die Infrastruktur, einheitliche Zuständigkeiten, feste Ansprechpartner und abgestimmtes Handeln sind Basis für präsente, informierte, effiziente und akzeptierte Reaktionen auf und zur Verhinderung von Straftaten.
Besonders wichtig ist die innovative Form der behördenübergreifenden Zusammenarbeit gerade bei den jungen Menschen, die sozial gefährdet sind. In diesen Fällen informiert die Polizei direkt die Jugendhilfe im Strafverfahren, die Sofortgespräche anbietet. Dort wird die momentane Situation analysiert, Hilfe und Beratung angeboten und wenn nötig, werden weitere Hilfen von Institutionen
vermittelt.Sanktionierung in der Strafverfolgung bedeutet bei uns nicht kurzer Prozess oder schnelles Abstrafen. Durch die Neuorganisation ergaben und entwickelten sich zentrale Instrumente und Abläufe, die es uns ermöglichen, die große Bandbreite des Jugendgerichtsgesetzes (JGG), von der erzieherischen Maßnahme bis hin zur Jugendstrafe, in der Praxis erfolgreich anzuwenden und festgefahrene Abläufe in Frage zu stellen.
„Der entscheidende Erfolgsfaktor beim Haus des Jugendrechts ist die enge und persönliche Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt „Tür an Tür"! Hierdurch ist es möglich, schneller und individueller auf Straftaten junger Menschen zu reagieren"
Gemeinsame Pressemitteilung des Innenministeriums, des Justizministeriums und der Landeshauptstadt Stuttgart am 11.03.2003.
Informationswege
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Die Informationswege und Postläufe wurden gleich zu Beginn neu geordnet. Für die Staatsanwaltschaft war es wichtig, sofort über alle eingeleiteten Ermittlungen bei der Polizei informiert zu sein, um sich frühzeitig in das Verfahren einbringen zu können.
Um dies zu gewährleisten, wurde vereinbart, eine Mehrfertigung der Anzeigenaufnahme einer Straftat als sogenannte „Vorausmeldung“ der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis vorzulegen. Durch die dauerhafte Präsenz der Staatsanwaltschaft und die kurzen Wege eröffneten sich für die Polizei ganz neue Möglichkeiten in der Ermittlungsarbeit.
So kann zu jedem Zeitpunkt der Ermittlungen sowohl von der Polizei als auch der Staatsanwaltschaft Kontakt aufgenommen werden.
Durch unmittelbare Absprachen können Haftbefehls- und Durchsuchungsanträge vorbereitet werden und es kann auf zeitaufwändige Zeugenvernehmungen und auf umfassende Ermittlungen zu „Nebenstraftaten“ verzichtet werden.
Ziel ist, die Verfahren zeitnah abzuschließen und unnötige Arbeit zu vermeiden.
Bei besonders gelagerten Fällen – schwere Kriminalität, Begehungsweise mit hoher krimineller Energie, auffällig aggressiver oder uneinsichtiger Täter – wird versucht, im Anschluss an die polizeiliche Vernehmung ein Gespräch im Sinne einer Fallkonferenz bei der Staatsanwaltschaft durchzuführen. Durch sie wird gegebenenfalls die Jugendhilfe im Strafverfahren informiert. Sind die Eltern zur Vernehmung mitgekommen, sind auch sie dabei.
Diese Fallkonferenzen zeigen deutlich, dass die jungen Menschen gut unterscheiden können, bei welcher Institution sie sich gerade befinden. Waren sie während der polizeilichen Vernehmung sehr uneinsichtig und „frech“, wussten sie sich bei der Staatsanwaltschaft gut zu benehmen. Sie nahmen „von Angesicht zu Angesicht“ wahr, dass hier jemand vor ihnen saß, der in ihrem Verfahren die Entscheidungen treffen würde.
Dieser frühzeitige Kontakt – noch während die Ermittlungen laufen – bedeutet einen hohen Informationsgewinn für die Staatsanwaltschaft. Sie erhält einen persönlichen Eindruck von dem jungen Menschen und lernt auch oft schon die Eltern kennen.
Kenntnisse über die persönlichen und familiären Verhältnisse werden vermittelt, die wesentlichen Einfluss auf den weiteren Verfahrenslauf haben können. So können dem jungen Menschen seine Perspektiven und der weitere Verlauf des Verfahrens aufgezeigt werden. Auch für eine spätere Gerichtsverhandlung ist dieser Erstkontakt sehr wertvoll – man kennt sich schon.
Die Jugendhilfe im Strafverfahren kann nach der Fallkonferenz bereits ambulante Hilfen einleiten; das polizeiliche Ermittlungsverfahren ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen!
Auch die Jugendhilfe im Strafverfahren bekommt damit zu einem sehr frühen Zeitpunkt Informationen über ein laufendes Ermittlungsverfahren und zum Umfeld des jungen Menschen. Sie kann frühzeitig reagieren und die gesamte Palette der Leistungen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ausschöpfen.
Erneute Auffälligkeiten werden der Staatsanwaltschaft mit einem besonderen Hinweis zur Kenntnis gebracht. Dies hat oft Einfluss auf Entscheidungen im Verfahren. Der ständige, zeitnahe Informationsfluss gerade durch die „Tür- und Angelgespräche“ ist dabei von zentraler Bedeutung und wird nur möglich durch die gemeinsame Unterbringung „Tür an Tür“.
Die besondere Verfahrensweise zieht sich durch bis zum Gericht. Auch die Staatsanwaltschaft nutzt die Möglichkeit, dem Gericht besondere Anklagen vorab anzukündigen und auf deren Dringlichkeit und Besonderheiten in der Täter- und/oder Deliktskonstellation hinzuweisen.
Auch von der Polizei werden solche Informationen an das Gericht weitergegeben. Besonders dann, wenn es darum geht, schnell Signale in einen Stadtteil zu geben. Die Erfahrungen zeigen, dass sich die Clique an einzelnen, besonders kriminell auffälligen Personen orientiert und abwartet, was passiert.
Kommt keine staatliche Reaktion, lassen sich einzelne weiter in die Kriminalität mitziehen. Der Schritt aus der episodenhaften zur mehrfachen Straftatenbegehung ist dann schnell getan.
Die Weitergabe der Anklage „von Hand zu Hand“ an das Gericht ist vor allem in drängenden Verfahren möglich. Die Verhandlung kann auf den Fall abgestimmt und unter Einhaltung der formellen Fristen zeitnah terminiert werden.
Die persönliche Anklagevertretung durch die Staatsanwaltschaft im Haus des Jugendrechts bringt die gesamten Vorkenntnisse zur Tat und zum Täter ins Verfahren mit ein.
Die Kenntnisse des Gerichts über die Zustände im Stadtteil oder aktuelle persönliche Entwicklungen der Angeklagten sind wichtig für das gerichtliche Verfahren.
Die Einwirkungsmöglichkeit auf den jungen Menschen kann größer werden, er merkt, dass es um ihn geht, er fühlt sich ernst genommen.
Dies wird unter anderem dadurch deutlich, dass eine wesentlich höhere Akzeptanz der verhängten Sanktionen im Haus des Jugendrechts spürbar wird.
Genutzte Zeit ist sinnvolle Zeit
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Den Zeitraum vor der Gerichtsverhandlung nutzen wir bewusst. Unser oberstes Ziel ist, mit den unterschiedlichen Reaktionen den jungen Menschen in seiner sozialen Entwicklung zu fördern und ihn vor weiterem Fehlverhalten zu bewahren. Dies wird erreicht, indem hingesehen wird: Nicht nur auf die Tat und den Täter, sondern auch auf die Auswirkungen der Tat auf das Opfer.
In der Zeit bis zur Hauptverhandlung kann so bereits passgenau reagiert werden. In einem Fall ist eine rasche Inhaftierung erforderlich, in einem anderen Fall ein Zuwarten angezeigt. Eine Schlichtung zwischen Gruppen, ein Anti-Gewalt-Training oder der Nachweis über den regelmäßigen Schulbesuch können notwendig sein, ebenso wie Kontakte mit einer Suchtberatung oder eine Schadenswiedergutmachung.
Der junge Mensch ist noch in der Entwicklung, Maßnahmen wirken nur dann, wenn sie genau passen. Automatismen müssen vermieden werden.
Das Jugendgerichtsgesetz bietet eine große Auswahl von Reaktionsmöglichkeiten. Diese können kombiniert werden und stehen nicht zwingend in einem Stufenverhältnis. Hierdurch wird ein Aufschaukeln von Sanktionen vermieden und auf Passgenauigkeit geachtet.
Die Terminierung einer Gerichtsverhandlung lässt es zum Beispiel zu, auf den Ausgang eines Täter Opfer- Ausgleichs oder eines Anti-Gewalt- Trainings zu warten.
Das weiß der Beschuldigte dann auch. Er weiß, er ist nicht vergessen, sondern quasi unter Beobachtung. Ihm ist bekannt, was auf ihn zukommen und was er selbst tun kann. Ein individueller Maßanzug für die momentane Lebenssituation des jungen Menschen kann geschneidert werden.
Im Haus des Jugendrechts wird „face to face“ gearbeitet. Die Kenntnisse über die Person und deren Lebenssituation beschränken sich also nicht auf die schriftlichen Unterlagen.
Der Beschuldigte kennt seine/n Polizeibeamtin/ Polizeibeamten, seine/n Jugendstaatsanwältin/Jugendstaatsanwalt, seine/n Sozialarbeiter/in, seine/n Richter/in und umgekehrt. An seinem Wohnort, in seinem Umfeld, vor Ort, wird ermittelt, angeklagt, Hilfe geleistet und verhandelt.
„Strafe muss auf dem Fuß folgen, aber sie muss vor allem auf dem Fuße beginnen. Dass die Arbeit der Behörden einen Tag nach der Straftat beginnt, ist wichtiger als eine schnelle Abwicklung des Gesamtverfahrens. Manchmal kann es besser sein, bewusst zu verzögern – beispielsweise zu einer Entschuldigung der jugendlichen Straftäter bei ihren Opfern“
Damalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin bei ihrem Besuch im Haus des Jugendrechts am 12.12.2000.
Der Täter-Opfer-Ausgleich
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Dem Instrument des Täter-Opfer- Ausgleichs (TOA) kommt im Haus des Jugendrechts im Verfahrensablauf als begleitende Maßnahme eine besondere Bedeutung zu. Er wird bei geeigneten Sachverhalten von Polizei und Jugendhilfe im Strafverfahren angeregt. Zwischen Staatsanwaltschaft und Täter-Opfer-Ausgleichsstelle wurden zusätzlich regelmäßige Fallsichtungen mit dem Ziel eingerichtet, den TOA früh in das Verfahren einzubinden.
Die Begegnung des Täters mit dem Opfer im Rahmen eines TOA hat zwei wichtige Funktionen:
Zum einen gibt er dem Opfer die Möglichkeit, die Folgen der Tat besser verarbeiten zu können und er ermöglicht dem Opfer, seine passive Rolle zu verlassen und geschützt durch den Mediator dem Täter zu begegnen, ihm seine Gefühle und die Folgen der Straftat darzulegen, sowie einen selbstbestimmten Ausgleich zu erreichen.
Zum anderen muss der Täter sich mit seiner Tat und dem, was er angerichtet hat, auseinandersetzen.
Der TOA erfordert vom Täter Verantwortungsübernahme und unterstützt ihn Wiedergutmachung zu leisten, die auch materiell sein kann.
Der TOA wird sowohl zur Verfahrenseinstellung als auch bei schweren Straftaten, die zu Verurteilungen führen, begleitend, mit der Möglichkeit zur Strafmilderung, genutzt.
Der Bedarf einer TOA-ähnlichen Maßnahme zur Konfliktregelung bei Strafunmündigen wurde festgestellt.
Die starke Nutzung des TOA im Haus des Jugendrechts und die dadurch stark gestiegenen Fallzahlen bei der TOA-Stelle der Jugendhilfe im Strafverfahren, veranlassten den Gemeinderat, eine weitere Personalstelle für den TOA zu genehmigen.„Nicht nur den Tätern, auch den Opfern von Straftaten gilt im Haus des Jugendrechts besondere Aufmerksamkeit. Den statistischen Beleg findet dies im deutlichen Anstieg der Verfahren, in denen ein Täter-Opfer-Ausgleich durchgeführt wurde, da gerade diese Sanktionsform in besonderer Weise erlaubt, individuell auf den Jugendlichen und das Opfer einzugehen“
Pressemitteilung des Innenministeriums, des Justizministeriums und der Landeshauptstadt Stuttgart vom 11.03.2003.
Verteidigung
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Dem Verteidiger kommt aufgrund seines Vertrauensverhältnisses zum Täter im Jugendverfahren eine besondere Rolle zu.
Auch er wird schnell informiert und in den Verfahrensablauf mit einbezogen.
Wir sehen es in nahezu allen Fällen, bei denen ein Verteidiger mitwirkt, als sehr hilfreich an, mit diesem zusammenzuarbeiten. Der Verteidiger hat das Vertrauen seines Mandanten. Erklärt er ihm die Maßnahmen des Jugendgerichts, besteht die Hoffnung, dass der junge Täter sie noch besser akzeptiert.
Auch zur Frage der Haft oder Haftvermeidung gibt es gute Erfahrungen.
Transparenz
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Wichtig in unserer neu ausgerichteten täglichen Zusammenarbeit ist, dass zwischen den Institutionen immer wieder eine Rückkopplung und damit eine Wirksamkeitskontrolle erfolgt. Instrumente hierfür sind unter anderem:
Frühbesprechungen zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendhilfe im Strafverfahren vor allem zum aktuellen Tagesgeschehen und zum Ausgang von Gerichtsverhandlungen. Anfangs fanden sie wegen organisatorischer Fragestellungen mehrmals wöchentlich, nun finden sie einmal wöchentlich statt.
Hauskonferenzen, um die Abstimmung und Entwicklung von allgemeinen Abläufen immer wieder neu zu justieren und anzupassen. Alle Mitarbeiter der vier Institutionen im Haus des Jugendrechts nehmen daran teil. Anfangs fanden sie monatlich statt,der Bedarf ging aber im Laufe der Jahre zurück. Wir tagen nun in einem Turnus von zwei Monaten, wobei der Vorsitz nach jeweils drei Hauskonferenzen zwischen allen vier Institutionen wechselt.
Diese Begegnungen fördern und unterstützen bis heute die Identifikation mit den neuen Strukturen und tragen entscheidend zur Transparenz der jeweiligen Arbeitsfelder bei.
Die „Tür- und Angelgespräche“ sorgen zudem für einen ständigen Informationsaustausch. Hieraus ergeben sich oft neue Impulse für die weitere Verfahrensbearbeitung.
Fallkonferenzen bei Bedarf zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendhilfe im Strafverfahren unter Einbeziehung der jungen Menschen und deren Eltern. Der momentane Verfahrensstand wird besprochen und die möglichen Konsequenzen und Hilfen werden aufgezeigt.
Beratung der jungen Menschen sowie deren Eltern während des gesamten Strafverfahrens.
Wissenschaftliches Ergebnis
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Der Erfolg der neuen Struktur und Arbeitsweise wurde auch durch den wissenschaftlichen Begleitbericht belegt. Nach dieser Analyse ist uns im Haus des Jugendrechts folgendes gelungen:
■ Die Reaktionszeiten auf jugendliches Fehlverhalten ganz wesentlich zu verkürzen;
■ die Verfahrenszeiten von der Polizei bis zur staatsanwaltschaftlichen Entscheidung um 51% (von 105,1 auf 51,6 Kalendertage) und bis zur ersten gerichtlichen Entscheidung um 54% (von 229,9 auf 105 Kalendertage) zu reduzieren und damit mehr alszu halbieren;
■ die Bearbeitungszeiten innerhalb der Staatsanwaltschaft gingen im Mittelwert um 71% von 52,2 auf 15,3 Kalendertage zurück.
Der wissenschaftliche Begleitbericht kam zu folgendem Ergebnis:
„Im Sinne des ganzheitlich angelegten Arbeitsansatzes des Modellprojektes ist es somit erstmals gelungen, alle Beteiligten, die mitdemselben Fall in den unterschiedlichen Kontexten befasst sind, an einen Tisch zu bringen.Das Haus des Jugendrechts sollte zu einer Regeleinrichtung im Sozialraum werden"
Die Politik folgte dieser Empfehlung:
„Das im Juni 1999 in Stuttgart-Bad Cannstatt gestartete und nach wie vor bundesweit einmalige Modellprojekt hat sich bestens bewährt und wird weitergeführt"
Gemeinsame Presseerklärung des Innenministers, der Justizministerin und des Oberbürgermeisters Stuttgart am 11.03.2003.